Profilbildung und Bewertung

Was ist ein Sammelprofil?

Mit einem Sammelprofil (oder auch: Sammlungsprofil) wird festgelegt, welche Themengebiete im jeweiligen Archiv gesammelt werden. Dies ist wichtig für den Erwerb von Sammlungen, da so Bestände thematisch ergänzt werden können. Gleichzeitig dient das Sammelprofil aber auch dazu abzugrenzen, was nicht gesammelt wird. Oftmals wird auch der Begriff "Überlieferungsprofil" verwendet. Ein Sammelprofil wird individuell je Archiv erstellt und kann sich an den bereits vorhandenen Beständen orientieren, jedoch auch auf zukünftige Sammeltätigkeiten ausgerichtet sein. Es wird schriftlich festgehalten und kann so auch zum Austausch in Hinblick auf die Sammeltätigkeiten anderer Archive dienen. Es ist nicht verkehrt, das Sammelprofil auf die eigenen Sammeltätigkeiten und -thematiken regelmäßig zu reflektieren. So kann es nämlich auch vorkommen, dass es im Laufe der Zeit abgeändert und angepasst wird.

Um sich der Erstellung eines eigenen Sammelprofils zu widmen, kann es hilfreich sein, die folgenden Fragen zu beantworten:

• Welche Themengebiete sind bereits in den eigenen Beständen vorhanden? Und welche Themengebiete werden noch nicht abgedeckt, sind aber kontextuell für die eigenen Bestände relevant?

• Soll thematisch in die Breite oder die Tiefe gesammelt werden?

• Welchen Zeitraum umspannen die bereits gesammelten Materialien? Und welche weiteren Zeiträume sollen (nicht) gesammelt werden?

• Wer sind die Materialgeber:innen? Von welchen Gruppen oder Einzelpersonen wird gesammelt? Das Sammelprofil hilft nämlich nicht nur dem eigenen Archiv, sondern kann auch potenziellen Materialgeber:innen als Anhaltspunkt für die Anbietung von Material dienen

• Welche Materialarten sind in den eignen Beständen bereits vorhanden? Können die Sammeltätigkeiten in Hinblick auf andere Materialarten erweitert werden? (Interna wie Protokolle und Korrespondenzen, Broschüren, Zeitschriften, Plakate, Aufkleber, AV-Medien, Fotos, Buttons, Transparente, etc.)

• Wie sehen die räumlichen Kapazitäten aus? Welche Sammlungen oder Materialien könnten in welchem Umfang übernommen werden?

Was bedeutet Bewertung?

Unter Bewertung versteht man die Beurteilung von Archivgut, bei der entschieden wird, welche Unterlagen dauerhaft archiviert und welche kassiert werden, d.h. als nicht als archivwürdig eingestuft und somit vernichtet werden. Oftmals findet die Bewertung schon vor der Übernahme ins Archiv statt. Ansonsten kann die Bewertung vor der Erschließung oder während der Erschließung stattfinden. Durch die Bewertung verringert sich ein Bestand oftmals physisch. Ziel der Bewertung ist eine aussagekräftige Überlieferung, die dem jeweiligen Bestand gerecht wird. Dies ist keine einfache Aufgabe, die mit einer großen Verantwortung einhergeht. Einerseits muss die bewertende Person über ein umfassendes thematisches Wissen verfügen, um eine Bewertung überhaupt erst vornehmen zu können. Es muss vermieden werden, Lücken in der Überlieferung zu erzeugen. Andererseits muss vor einer Bewertung auch geklärt werden, ob dies rechtlich überhaupt erlaubt ist. Wurde in dem Übernahmevertrag festgehalten, dass aus dem Bestand kassiert werden darf? Und wenn ja, wie kann eine Bewertung von Statten gehen? Und an welchen Kriterien orientiert sie sich? Denn einmal kassiertes und vernichtetes Material ist nicht wiederherstellbar.

Wie können wir entscheiden, was wir bewahren wollen – und was weggeschmissen werden kann?

Die Bewertung von Archivgut in Freien Archiven unterliegt weniger Regularien als in kommunalen oder staatlichen Archiven und orientiert sich an dem eigenen Sammelprofil. Dies bedeutet einerseits eine freiere Arbeitsweise, andererseits aber auch, dass die Bewertung subjektiver gefärbt sein kann als in anderen Archiven. So können persönliche Interessen und politische Neigungen mit in die Bewertung und Kassation einspielen und die Überlieferungsbildung beeinflussen. Das Sammelprofil hingegen soll helfen, annähernd objektive Kriterien für die Sammlung von Archivgut zu erstellen, die für alle im Archiv Tätigen nachvollziehbar und transparent sind.

Folgende Kriterien und Fragestellungen können bei einer Bewertung von Material hilfreich sein:

• Passen die Unterlagen thematisch in das Sammelprofil?

• Sind die Unterlagen aus dem Sammlungszeitraum, welcher im Profil festgehalten ist?

• Wie hoch ist der Erkenntnisgewinn und Quellenwert der einzelnen Unterlagen? Handelt es sich dabei um Originale wie Korrespondenzen oder massenhaft produziertes Material?

• Ausgehend vom möglichen Erkenntnisgewinn der Unterlagen: Könnte ein zukünftiges Nutzer:inneninteresse an den Unterlagen bestehen?

• In welchem Zustand befindet sich das Material? Gibt es Schäden wie Stockflecken oder Schimmel die eine Bewertung beeinflussen, da die Archivierung mit großem Aufwand und Kosten verbunden sind?

• Ist das Material schon einmal vorhanden - handelt es sich also um ein Duplikat?

Woher kommt das Material, das wir archivieren? Wie komme ich an richtig gutes Material?

Die Materialien stammen meist von Einzelpersonen oder Gruppen. Oft unterscheidet sich auch die Art und Weise, wie die Materialien ins Archiv gelangen:

• a) Durch eigenes Einwerben seitens des Archivs

Oftmals sind die Menschen aus den Freien Archiven selbst in politischen Kontexten unterwegs. Je nach Art der Veranstaltung oder Ort der Veranstaltung liegen eventuell Broschüren, Flugblätter, Aufkleber oder Plakate aus. Auch andere Objekte wie Buttons, Anstecker oder Postkarten können auf diese Weise eingesammelt werden. Meist werden Materialien so eher „häppchenweise“ eingesammelt, d.h. es entstehen keine zusammenhängenden Sammlungen. Demonstrationen, Kundgebungen oder andere Veranstaltungen sind eine gute Möglichkeit, um Kontakte in die Szenen hinein zu knüpfen und das eigene Archiv bekannt zu machen.

• b) Durch Abgabe von Materialgeber:innen

Falls der Kontakt zu Einzelpersonen oder Gruppen bereits besteht, kann es auch sein, dass diese auf das Archiv zukommen, um Materialien abzugeben. Oft bestehen diese Materialien aus einer Sammlung von Druckerzeugnissen (Zeitschriften, Broschüren, Plakate etc.), jedoch manchmal auch aus einzigartigen Unterlagen wie Korrespondenzen, Notizen, Protokollen, Fotos, etc. Dieses interne Material stammt aus ihrer eignen politischen Arbeit und zeigt, wie und über was wie in bestimmten Szenen kommuniziert wurde. Diese Materialien haben einen hohen archivischen Wert, da sie einmalig sind.

• c) Durch den Austausch mit anderen Freien Archiven

Oft werden über den Mail-Verteiler der Freien Archive Zeitschriften oder Broschüren von einzelnen Archiven angeboten, die bereits als Dubletten im jeweiligen Archiv vorhanden sind. Dies ist eine gute Möglichkeit den eignen Bestand aufzubauen und auch bestehende Bestandslücken zu schließen. Meistens werden die Dubletten dann auf Wunsch postalisch zugeschickt.

Hier ein paar Anregungen vor dem Sammeln von Material:

• Wie viel Platz hat das Archiv? Gibt es Material mit besonderen Ansprüchen was die Lagerung angeht? Beispielsweise nehmen Plakate viel Platz ein.
• Bestehen bereits Kontakte in die Szene hinein? Gibt es Personen, die potentielle Materialgeber:innen sein könnten? Kontakte zu pflegen lohnt sich!
• Gibt es in der Nähe Veranstaltungen, die besucht werden können, um Material einzusammeln? Gibt es evtl. befreundete Personen aus der Szene, die ebenfalls die Augen nach Material für das Archiv offen halten können?
• Ist es dem eigenen Archiv eher wichtig, in die Breite oder in die Tiefe zu sammeln? D.h. ist es wichtiger, Bibliotheksgut/ Druckerzeugnisse wie Zeitschriften oder Broschüren zu sammeln oder soll eher genuines Archivmaterial wie Interna gesammelt werden?